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Hoffnungsschimmer in der Gewaltspirale

June 2002

 

SLG 26/02

Aktuell/Israel

Seit über 20 Jahren lebt die Zürcherin Evi Guggenheim Shbeta im Dorf Neve Shalom/Wahat al-Salam in der Nähe von Jerusalem. Was in Israel unmöglich geworden scheint, ist hier Realität: das friedliche Zusammenleben von Israeli und Palästinensern. Vor zehn Tagen wurde das Dorf mit dem Preis für Menschlichkeit ausgezeichnet.

Die Gemeinde, deren hebräisch-arabischer Doppelname so viel bedeutet wie Oase oder Quelle des Friedens, ist einzigartig in Israel. Neve Shalom/Wahat al-Salam wurde Anfang der achtziger Jahre von Israeli und Palästinensern auf Initiative des inzwischen verstorbenen Dominikanermönchs Bruno Hussar als Friedensprojekt gegründet. Heute ist die Siedlung zu einem Hoffnungsschimmer in Zeiten von Gewalt und Eskalation geworden. Nirgendwo sonst in Israel gehen jüdische und arabische Kinder gemeinsam in die Schule. Hier diskutieren und praktizieren Juden und Palästinenser den Frieden.

Den Bewohnern von Neve Shalom/Wahat al-Salam ging es jedoch von Anfang an nicht nur darum, das friedliche Zusammenleben zu fördern. Der Friedensgedanke sollte auch ins Land und in die Welt hinausgetragen werden. Parallel zum Dorf wurde deshalb eine Friedensschule aufgebaut. Die Teilnehmer lernen in mehrtägigen Seminaren, wie sie in einer Konfliktsituation mit erzieherischen Methoden Vertrauen aufbauen können. Zehntausende Juden und Palästinenser haben die Friedensschule besucht. Darüber hinaus werden „Friedenslehrer“ ausgebildet, die überall im Land in den Schulen oder in der Erwachsenenbildung tätig sind.

Einsatz für den Frieden

Inzwischen sind die Friedensboten aus Neve Shalom auch als Vermittler in anderen Konfliktregionen wie Nordirland, dem Kosovo, Mazedonien oder Südafrika tätig gewesen. Das Dorf erhielt mehrere Friedenspreise, darunter den Unicef-Preis und den Bruno Kreisky-Preis, und wurde bereits zweimal für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen. Vor zehn Tagen hat das Friedensdorf nun den mit 10 000 Franken dotierten Preis für Menschlichkeit 2002 bekommen auf der Expo.02-Arteplage Yverdon-les-Bains. Der Preis wurde von der Cevi Schweiz (Christliche Vereine junger Frauen und Männer) sowie der GRA (Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus) ins Leben gerufen.

Bernhard Matuschak besuchte Neve Shalom/Wahat al-Salam bereits 1995. Nun kehrte er in die Friedensoase zurück und sprach erneut mit der dreifachen Mutter Evi Guggenheim Shbeta, die mit einem israelischen Palästinenser verheiratet ist, über die Situation im Nahen Osten und das Leben in ihrer zweiten Heimat.

Frau Guggenheim Shbeta, was führte Sie 1975 als 19-Jährige ins Gelobte Land?

Das Leben als Jüdin in der Schweiz, die in einer zionistisch-religiösen Familie aufwuchs, wurde für mich zunehmend unbefriedigender. Ich wollte nicht mehr als Minderheit in einem Land leben.

Wie die Palästinenser in Israel?

Richtig. Doch damals war ich naiv und dachte, dass Israel die Heimat der Juden ist. Ich war wie vor den Kopf gestossen, als ich feststellen musste, dass auch dort eine Minderheit lebt. Nun studierte ich an der Universität von Tel Aviv, hatte die israelische Staatsbürgerschaft in der Tasche, und mir wurde mehr und mehr bewusst, dass es in Israel eine Zweiklassengesellschaft gab: eine jüdische mit allen Rechten und eine arabische mit wenig Rechten.

Wie reagierten Sie auf diese Erkenntnis?

Ich hatte sofort das Gefühl, etwas tun zu müssen, und suchte den Kontakt zur Friedensbewegung und zu den arabischen Studenten. Ich schloss mich einer Gruppe an, welche zum Ziel hatte, ein Friedensdorf aufzubauen, in dem Juden und Araber friedlich und gleichberechtigt zusammenleben können.

Heute ist aus dem damals winzigen Dorf eine Gemeinde mit gut 200 Einwohnern geworden – einer der wenigen Hoffnungsschimmer in der Spirale der Gewalt.

Neve Shalom/Wahat al-Salam ist angesichts der Gewalt in Israel und Palästina im Moment eher eine Oase. Wir hoffen aber, dass wir die Quelle für eine neue Annäherung unserer beiden Völker sein werden. Im Gegensatz zu den Autonomiegebieten können sich Israeli und Palästinenser bei uns auf gleicher Augenhöhe begegnen. Hier gibt es keine Besatzer und keine Besetzten.

Aber es scheint, als ob die Fronten verhärtet seien. Der Likudblock von Ministerpräsident Sharon setzt auf Konfrontation.

Die Zeichen stehen nicht gut. Jede Stunde, in der sich israelische Soldaten in den Autonomiegebieten aufhalten, verschlimmert die Situation. Jeder neue Selbstmordanschlag und jeder neuerliche Beschuss palästinensischer Siedlungen durch israelische Soldaten ist ein Rückschritt. Doch auch unbeachtet von der Öffentlichkeit geschehen Besorgnis erregende Dinge. Unlängst haben wir bei einem Fussballspiel eine Bandenwerbung mit dem Titel „Frieden ist möglich“ anbringen lassen. Daraufhin hat das israelische Fernsehen von einem Standort gedreht, von dem aus der Slogan nicht im Bild zu sehen war.

Welche Aktivitäten gehen von Ihrer Gemeinde für den Frieden aus?

Derzeit unterstützen wir die palästinensische Bevölkerung in den neu besetzten Gebieten mit Hilfslieferungen.

Sie sind mit einem Palästinenser verheiratet. Gehen da nicht innerhalb der Familie die Meinungen manchmal auseinander?

Es kommt durchaus vor, dass mein Mann und ich unterschiedlicher Auffassung sind. Doch dann geht es um Detailfragen, denn im Grundsatz sind wir uns einig, wie der Weg zum Frieden beschritten werden muss. Gewalt, egal von welcher Seite und mit welcher Begründung sie ausgeübt wird, ist keine Lösung, sondern führt nur noch weiter in den Abgrund.

Wie erleben Sie den Alltag in Israel? Haben Sie Angst vor Anschlägen, wenn Sie einkaufen gehen oder mit dem Bus fahren?

In Israel lebt man in ständiger Angst vor neuen Bombenattentaten. Mit dem Bus fahre ich schon lange nicht mehr, und jedesmal, wenn ich an einer Bushaltestelle vorbeifahre, in den Supermarkt zum Einkaufen gehe oder an einen Ort komme, wo sich viele Menschen aufhalten, bekomme ich Angst. Vor allem, wenn ich mit den Kindern unterwegs bin, ist das schier unerträglich. Aber den Müttern in den von Israel besetzten Gebieten geht es natürlich genauso, auch dort ist ein normaler Alltag schon lange nicht mehr möglich.

Haben Sie persönlich noch Hoffnung auf Frieden?

Es gibt keine Alternative, auch wenn die Situation derzeit sehr verfahren ist. Als ich nach Israel kam, durften sich die israelischen Araber nicht als Palästinenser bezeichnen. Heute sind sie Palästinenser mit israelischer Staatsbürgerschaft. Das Existenzrecht Israels steht nicht mehr in Frage, und die Israelis erkennen die Palästinenser als Volk an. Derzeit sind die beiden Seiten ineinander verhakt. Doch es wird die Zeit kommen, da werden beide einen Schritt zurück machen, und der Moment für den Dialog wird gekommen sein. Der Hunger nach Frieden wächst, das merken wir in unserem Dorf ganz besonders. Die Warteliste von Juden und Palästinensern, die in unserer Gemeinde leben möchten, wird immer länger. Vor kurzem wurde der Bau von 90 neuen Wohneinheiten gebilligt, und die Einwohnerzahl von Neve Shalom/Wahat al-Salam wird sich in den nächsten Jahren verdoppeln.

Bei allem, was bisher geschehen ist, und so unversöhnlich, wie sich Arafat und Sharon gegenüberstehen?

Ich bezweifle, dass Sharon und Arafat zum Frieden fähig sind. Keiner will vor dem anderen in die Knie gehen. Entweder muss der Druck von aussen auf die Kontrahenten sehr viel grösser werden, oder das Volk hindert seine Führer daran, weiteres Unheil anzurichten. Doch – und da mache ich mir keine Illusionen – es wird lange dauern, bis die Wunden dieses sinnlosen Blutvergiessens wieder verheilt sein werden.

Bernhard Matuschak

((Box))

Unterstützung für Neve Shalom

Evi Guggenheim Shbeta wurde als Botschafterin von Neve Shalom/Wahat al-Salam in die Schweiz entsandt, um Werbung für den Frieden zu machen und dringend erforderliche Spenden für das Friedensprojekt und die Hilfslieferungen in die besetzten Gebiete zu sammeln. Das Spendenkonto lautet: COOP Bank, Basel; PC 40-8888-1, Kontonummer: 298385.290100-5 8440 Neve Shalom.

Weitere Informationen zu Neve Shalom/Wahal al-Salam unter www.nswas.com

((Quote 1)) „Bei uns können sich Israeli und Palästinenser auf gleicher Augenhöhe begegnen“

((Quote 2)) „Mit dem Bus fahre ich schon lange nicht mehr“

((Quote 3)) „Der Hunger nach Frieden wächst“

((Bildlegenden))

((Aufhänger Dia 10))Foto: Martin Arnold

Graffiti in Neve Shalom.

((Dia 6 und 4 zusammen))Fotos: Martin Arnold

Neve Shalom/Wahat al-Salam bedeutet Oase des Friedens.

((RGB A und RGB B zusammen))Foto: Ralph Hut/Keystone

Evi Guggenheim Shbeta links mit ihrem Mann und ihren drei Kindern, rechts als Botschafterin von Neve Shalom in der Schweiz.

 

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