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Karl-Golser-Preis für Absolventin der unibz
Freitag 31. Januar 2020

Karl-Golser-Preis für Absolventin der unibz
Verena Massl, Absolventin des Masterstudiengangs für Soziale Arbeit der unibz, erhielt in Brixen den Karl-Golser-Preis für ihre Abschlussarbeit über ein Friedensprojekt in Israel.
Sie wurden heute für Ihre Abschlussarbeit des Masterstudiengangs „IRIS – Innovation in Forschung und Praxis der Sozialen Arbeit“ der Fakultät für Bildungswissenschaften mit dem Bischof-Karl-Golser-Preis ausgezeichnet. Was ist das Besondere an dieser Abschlussarbeit. die von Professorin Susanne Elsen betreut wurde?
Verena Massl: Ich habe mich dafür im Rahmen eines sechsmonatigen Forschungsaufenthalts mit jungen Menschen in einem besonderen Dorf in Israel auseinandergesetzt: Neve Shalom – Wahat al-Salam, wo seit über vier Jahrzehnten die Vision einer neuen Verständigung zwischen Israelis und Palästinensern und eines friedlichen Zusammenlebens der Religionen gelebt wird. Mich hat dabei die Perspektive der zweiten Generation interessiert, die in dieser „Oase des Friedens“, wie der Name des Dorfes auf Deutsch übersetzt lautet, aufgewachsen sind. Sie haben ihre ersten sechs Schuljahre in der zweisprachigen Dorfschule verbracht, wo die hebräische und arabische Sprache und Kultur völlig gleichberechtigt gelehrt und gelebt werden. Eine Besonderheit meiner Arbeit war auch mein partizipativer Ansatz. Das heißt, ich habe nicht über diese jungen Menschen geforscht, sondern sie direkt in die Forschung eingebunden.
Wie kann man sich das konkret vorstellen?
Ich habe vor allem gemeinsam mit ihnen erarbeitet, welche Themen genauer anzuschauen sind und wie die Forschungsarbeit letztendlich angelegt wird. Unter anderem haben mir die Jugendlichen erzählt, dass es nicht so leicht war, bestimmte Feiertage gemeinsam zu begehen. Ein Beispiel: Der israelische Unabhängigkeitstag, an dem Juden gemeinsam grillen und feiern, ist für die Palästinenser der Nakba-Tag, ein Katastrophentag. Oder ich habe erst im Laufe der Gespräche herausgefunden, dass auch viele Palästinenser des Dorfes nach der Grundschule in eine jüdische Oberschule gehen. Da hat sich dann noch einmal eine eigene Welt aufgetan, und ich habe untersucht, wie dieser Übergang von einer gleichberechtigten Behandlung in der Grundschule zu ihrem Minderheitenstatus in der Oberschule verlaufen ist.
Was zeigt die zweite Generation eines solchen Friedens-Experiments laut Ihrer Arbeit?
Was ich von den jungen Menschen am häufigsten zu hören bekam, war, dass ihnen vorkam, in einer Seifenblase aufgewachsen zu sein. Das hat meiner Arbeit auch den Titel gegeben: "Growing up in a Bubble – Bilingual, Binational Education Experienced by Jewish and Palestinian Students in Israel“. Diese Blase hatte sowohl positive als auch negative Aspekte. Einerseits war sie ein Schutzwall, schuf eine Art ideale Welt, die für sie eine sehr positive Erfahrung war. Andererseits war dann der Übergang in die Oberschule, die es im Dorf nicht gibt, für viele der Jugendlichen extrem schwierig, auch für die jüdischen Schülerinnen und Schüler. Denn plötzlich wurde für sie klar, dass das restliche Land nicht so funktioniert, wie sie es gewohnt waren.
Sie hätten dann „draußen“ auch als Vorbilder wirken können.
Teilweise geschah das auch. Zum Beispiel hat man mir erzählt, dass es in einer jüdischen Schule einen Konflikt gab, weil palästinensische Schüler von einer Feier ausgeschlossen wurden, da sie nicht bei der Nationalhymne mitsingen wollten. Und dann setzten sich einige jüdische Mitschüler aus dem Dorf für sie ein, und versuchten den anderen deren Perspektive verständlich zu machen. Denn in der Hymne kommen Palästinenser nicht vor, darin geht es nur um die jüdischen Staatsbürger, die den Staat Israel gegründet haben.
Können Sie Ihre Erfahrungen in Israel und die Ergebnisse Ihrer Forschungsarbeit auf Südtirol oder andere Regionen umlegen, wo mehrere Sprachgruppen mit schwieriger Vergangenheit miteinander leben?
Um wirklich wissenschaftlich zu belegen, dass Neve Shalom– Wahat al-Salam als Modell für andere Regionen dienen kann, bräuchte es ein breiter angelegtes Forschungsprojekt. Doch ich kann aus meinen Erfahrungen vor Ort sagen, was es braucht, damit so ein Zusammenleben funktioniert: alle Gruppen müssen gleichberechtigten Zugang zu den politischen und ökonomischen Möglichkeiten eines Landes haben. Das gilt dann auch für eine mehrsprachige Schule. Es ist wichtig, aus dieser Mehrheit-Minderheit-Logik herauszukommen, und dafür müssen die Rahmenbedingungen sehr genau definiert werden. Selbst in der Schule in Neve Shalom – Wahat al-Salam, wo der Unterricht zu je 50 Prozent auf Hebräisch oder Arabisch gehalten wird, ist es nicht einfach, dass am Ende nicht doch das Hebräische überwiegt, weil es im Land einfach die offizielle Sprache ist. Das gilt dann natürlich auch, wenn man noch weitere Minderheiten und Religionsgemeinschaften einbindet.
Wie wir auch in Südtirol sehen, ruft ein solches Modell des gleichberechtigten Nebeneinanders häufig die Angst vor dem Verlust der eigenen Kultur hervor.
Hier kann uns auch Neve Shalom – Wahat al-Salam lehren, dass diese Angst unbegründet ist. Dort wird im Dezember Hanukkah genauso gefeiert wie Weihnachten oder muslimische Feiertage, die in diesen Zeitraum fallen. Trotzdem sind die jungen Menschen, die dort aufgewachsen sind, sind sehr stark in ihrer jüdischen oder palästinensischen Identität verwurzelt. Doch sie leben eben nicht nur die eigenen Traditionen, sondern feiern zum Beispiel als Juden auch das muslimische Fastenbrechen mit, indem sie abends gemeinsam mit den muslimischen Palästinensern im dortigen Kulturzentrum essen. Ich persönlich bin der Meinung, dass es in diesen Fragen kein Entweder-Oder gibt. Wir sollten auf keinen Fall für andere Kulturen auf eigene Traditionen verzichten. Doch es ist spannend, auch andere dazu zu nehmen und so – klarerweise ohne Zwang – die Möglichkeit eröffnen, Neues kennenzulernen und sich so das Eigene auch noch besser bewusst zu machen. Das haben mir auch die jungen Menschen aus Neve Shalom bestätigt.
(su)
Online ansehen : https://www.unibz.it/it/news/134386...