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Wenn Mosche und Mohammad Freunde sind: Israels «Oase des Friedens»

Donnerstag 17. März 2016

 

Article by David Ehl in German newspaper Rhein-Neckar-Zeitung

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Abschottung, Zäune und Betonmauern sind Israels aktuelle politische Strategie. Im Dorf Neve Shalom geht man den entgegengesetzten Weg. Nach der ersten gemeinsamen Schule von Israelis und Palästinensern soll nun sogar ein Studiengang «Konfliktlösung» entstehen.

Neve Shalom (dpa) – Die Märzsonne bringt die Luft über der Straße zum Flimmern. Zypressen, blühende Obstbäume und sanft geschwungene Weinberge erinnern an die Toskana. Doch die Straße führt durch Israel, in die «Oase des Friedens». In einem Land, das seit Jahrzehnten von einem blutigen Konflikt erschüttert wird, klingt der Name allerdings nach einer weltfremden Utopie.

Das weiß auch Rita Boulos, die für die Öffentlichkeitsarbeit des Dorfes zuständig ist: «Wir merken, dass wir nur noch härter und härter arbeiten müssen. Das ist wie eine Mission.» Sie verwendet immer den hebräisch-arabischen Doppelnamen «Neve Shalom/Wahat al-Salam», denn die Bewohner der Oase des Friedens sind zu gleichen Teilen jüdische und palästinensische Israelis. Seit den 1970ern wuchs das Dorf auf seinen heutigen Stand von rund 60 Familien, also ungefähr 200 Einwohnern, an. In zehn Jahren sollen es 150 Familien sein, es gebe Hunderte Bewerber. Die Dorfgemeinschaft entscheidet basisdemokratisch, wer für 18 Monate zum Probewohnen unweit des Westjordanlandes kommen darf.

Direkte Demokratie und Engagement der Bewohner sind dabei nur ein Teil des Konzepts. Auf halber Strecke zwischen den Metropolen Tel Aviv und Jerusalem, die regelmäßig zu Schauplätzen des blutigen Konflikts werden, gestalten Israelis und Palästinenser gemeinsam die Oase des Friedens. Hier gehe man weiter als in den größeren gemischten Städten wie Haifa oder Beerscheva, sagt Rita Boulos: «Die Menschen dort leben gar nicht wirklich zusammen.»

Natürlich ist bei aller Abschottungspolitik der Regierung unter Benjamin Netanjahu die Frage berechtigt, welchen Unterschied ein einzelnes kleines Dorf im Acht-Millionen-Staat Israel machen kann. Dann berichtet Boulos von der «School for Peace», der Schule für den Frieden, die im Dorf bereits 60 000 Menschen aus dem ganzen Land empfangen hat. Und zwar nicht nur überzeugte Linke, sondern Anhänger jeder politischen Couleur, betont Boulos. «Wir arbeiten nicht mit denen, die bereits überzeugt sind», sagt auch Schulleiterin Nava Sonnenschein. Sie hofft stattdessen, dass ihre Seminarteilnehmer zu Aktivisten für einen Wandel werden. «Das wichtige ist, die Erkenntnisse in der Gruppe auf die Makroebene zu übertragen.»

Die «School for Peace» richtet sich hauptsächlich an junge Erwachsene, aber Neve Shalom/Wahat al-Salam beherbergt seit 1984 auch die erste gemischte Grundschule des Landes. Gemeinsame Erziehung findet Rita Boulos sehr wichtig: «Wenn Mosche und Mohammad Freunde sind, ist es schwierig, sie davon zu überzeugen, dass sie Feinde sind.» Israelische und palästinensische Kinder lernen von der ersten Klasse an gemeinsam Hebräisch und Arabisch, in der dritten Klasse kommt Englisch hinzu. Um zu helfen, sind oft zwei Lehrer im Klassenraum, sagt Schulleiterin Carmela Ferber.

Das Konzept scheint vielen Eltern zu gefallen: Die Schülerzahl wächst, mittlerweile sind es über 180. «Wir haben gerade zum ersten Mal zwei erste Klassen», sagt Ferber. 70 Prozent der über 180 Schüler stammen aus umliegenden Ortschaften. Sie kommen mit Schulbussen, die von Fördervereinen aus mehreren europäischen und amerikanischen Ländern finanziert wurden.

Der deutsche Verein «Freunde von Neve Shalom/Wahat al Salam» ist mit 300 Mitgliedern und bis zu 100 000 Euro jährlicher Förderung einer der wichtigsten. Rainer Ratmann aus dem Vorstand sieht das Dorf als «eminent wichtigen Stachel im Fleisch der israelischen Gesellschaft», die politisch nach rechts außen abdrifte.

Das Konzept des Dorfs stößt im Land in der Tat nicht nur auf Gegenliebe: 2012 beschädigten jüdische Extremisten mehrere Autos und hinterließen rassistische Graffiti. Im Dorf sei man geschockt gewesen, aber auch enttäuscht über nachlässige Ermittlungen der Polizei, sagt Rita Boulos.

Toleranz ist ein Grundbaustein der Oase des Friedens. Es gibt bewusst keine Regeln zu Kippa oder Kopftuch, das einzige Restaurant des Dorfs verzichtet auf ein Koscher-Zertifikat. Der ökumenische Gebetsraum am Rand des Dorfs verzichtet auf religiöse Zierde. Angst, darüber die eigenen Traditionen zu verlieren, verspürt weder die Muslimin Boulos noch die Jüdin Nava Sonnenschein von der «School for Peace».

Im Herbst soll das Dorf um eine Institution wachsen: Dann beginnt am neu gegründeten Ahmad Hijozi College in Kooperation mit der University of Massachusetts in Boston ein Masterprogramm für jährlich 24 Politik-Studenten, zu je einem Drittel israelisch, palästinensisch und international. Der Name des Studiengangs passt perfekt nach Neve Shalom/Wahat al-Salam: «Konfliktlösung».


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