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Zwischeninformation-extra- 16-05-2021

Mittwoch 2. Juni 2021

 

Roi Silberberg, Direktor der School for Peace in Neve Shalom - Wahat al-Salam (Mail vom 16.05.2021, 01:48)

Liebe Freunde,

ich schreibe diese Zeilen inmitten von Aktivitäten, Gewalt und politischer Ungewissheit.

In der vergangenen Woche haben wir in der School for Peace unsere Rolle in diesen herausfordernden Zeiten auf neue Weise realisiert.
Zunächst einmal haben wir versucht, unsere ständigen und freien Mitarbeiter, und unsere Kursabsolventen zu schützen. Mehrere SfP-Teamkollegen leben in gemischten Städten oder arabischen Ortschaften, in denen ihre Wohnviertel von extremistischen Gangs (wie in Lod) oder von israelischen Sicherheitskräften (wie gestern in Kafr Kana) angegriffen wurden. Auch die Sicherheit vieler unserer freien Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen ist gefährdet. Wir tun unser Bestes, um sie zu unterstützen.

Auf vielerlei Weise haben wir die Aktivitäten unserer Kursabsolventen in den vergangenen Tagen unterstützt. Drei Treffen für Führungskräfte in gemischten Städten haben stattgefunden, bei denen sie ihre jüngsten schwierigen Erfahrungen ausdrücken und konkrete Unterstützung für ihre Aktivitäten erhalten konnten. Die ausgetauschten Berichte sind traurig und beängstigend, doch sie enden alle mit der unerschütterlichen Überzeugung, wie wichtig es ist, jetzt zu handeln.

... Während der Treffen wurde uns klar, wie wichtig eine gemeinsame Stellungnahme ist. Die Ausarbeitung war ein langer Prozess (über 48 Stunden) – am Ende leisteten auch Vertreter anderer Kursabsolventen-Gruppen (Stadtplaner, Rechtsanwälte, Fachleute psychische Gesundheit) ihren Beitrag dazu...

Der Umfang der Aktivitäten unserer Kursabsolventen ist überwältigend. In Jaffa gehörten zwei unserer Absolventen (Rawan Bishara und Ibrahim Agbaria) zu den Organisatoren der großen Demonstration von Juden und Palästinensern... Nahed Sakis gehört zu der Gruppe, die verwundete Einwohner von Jaffa unterstützt. Eine weitere Absolventin (Rachel Hagigi) organisiert „Neighbour Watch“, eine Gruppe jüdischer Einwohner in Jaffa.

In Lod organisiert Natali Kirstein für heute (16.05.) eine gemeinsame Demonstration und Yossi Basson und Akram Sakalla organisieren einen Rundgang durch die Stadt mit örtlichen jüdischen und muslimischen Theologen.
Die folgende Rückmeldung von einigen Kursabsolventen hat mich in den vergangenen Tagen ermutigt: Sie berichteten, dass ihre Beteiligung an SfP-Aktivitäten ihren Blickwinkel erweitert und ihnen geholfen hätte, mit der sich verschlechternden Situation umzugehen.

Ich wünsche Ihnen ruhige Tage und hoffe, Sie bald weiter informieren zu können. Roi

Stellungnahme der School for Peace: Die gegenwärtigen Ereignisse in Israels gemischten Städten

Wir, die Gemeinschaft der Lehrkräfte, Mitarbeiter und Absolventen der School for Peace in der Gemeinde Neve Shalom - Wahat al-Salam (Oase des Friedens), Juden und Araber, haben mit Abscheu und Empörung die Ereignisse der letzten Tage verfolgt. In den gemischten Städten, wo ein großer Teil der Gewalt stattgefunden hat, sind palästinensisch israelische Bürger, eine rechtsgültige, nationale, einheimische Minderheit, ebenso zu Hause wie jüdische Israelis.

Zu unserer Gemeinschaft an der School for Peace gehören Aktivisten, die in gemischten Städten arbeiten, Menschenrechtsanwälte, Fachleute im Bereich psychische Gesundheit, Pädagogen, Umweltaktivisten, Journalisten, Stadtplaner und politische Führungskräfte in der Kommunalpolitik. Wir sind zornig angesichts der aus unserer Sicht gefährlichen Vorkommnisse in unseren gemischten Städten und gemeinsam bewohnten Gebieten.

Die von Juden und Palästinensern begangene Gewalt ist asymmetrisch. Juden werden durch eine rassistische Ideologie und ein komplizenhaftes Establishment ermutigt; beides soll das fragile Beziehungsgeflecht zwischen Juden und Palästinensern beschädigen. Die Gewalt ist angefacht worden durch Hetze und Anstachelung von Gruppen zu Gewalttätigkeiten auf beiden Seiten. Die Polizei hat ihre Aufgabe nicht erfüllt; sie ist entweder nicht eingeschritten oder hat selbst exzessiv Gewalt angewendet, und beides hat zu der Atmosphäre der Angst und des Schreckens auf den Straßen beigetragen.

Schuld an der gegenwärtigen Lage ist vor allem die Vernachlässigung des Kampfes gegen Kriminalität und Gewalt in der arabischen Gesellschaft in diesem Land – eine Vernachlässigung, die bereits seit vielen Jahren besteht; sie hat die Führung der palästinensischen Israelis geschwächt und Gewalttaten und kriminelle Elemente verstärkt. Die palästinensische Bevölkerung in Israel leidet bereits seit der Gründung des Staates Israel in verschiedenen Bereichen unter Vernachlässigung und Diskriminierung, etwa bei Infrastruktur, Bildung und Wohnungswesen. In den gemischten Städten ist diese Vernachlässigung mehr als augenfällig, jüdische Einwohner werden in diesen Bereichen und anderen Bereichen klar bevorzugt. In dieser Situation der Ungleichheit rufen wir nicht nur zur Gewaltfreiheit auf sondern auch zu Gleichberechtigung, Gerechtigkeit für alle Bürger und zu Maßnahmen, die geeignet sind, die Ungerechtigkeiten zu beheben.

Ein weiterer Faktor der jetzigen Gewalt ist das Verhalten des Militärs gegenüber Palästinensern in der Altstadt von Jerusalem und im Wohnviertel Sheikh Jarrah in Ost Jerusalem. Dort, wo die palästinensischen Einwohner um Unabhängigkeit kämpfen, ermutigt aggressives Vorgehen gegen sie Palästinenser außerhalb des Staates Israel, sich mit denen in Israel zu solidarisieren und umgekehrt.

Sogar während die gegenwärtige Gewaltwelle noch andauert, ignorieren die Medien die palästinensische Identität und dehumanisieren sie – bis zu dem Punkt, dass sie für rassische Reinheit eintreten. Wir erleben ungleiche Behandlung in den Medien; die Bandbreite der gehörten Stimmen ist zu schmal; jüdisch-arabische Stimmen, die gemeinsam zu Gleichbehandlung aufrufen, werden nicht gesendet. Stattdessen wird die Bühne denen überlassen, die den Opfern die Schuld zuweisen und die Unfähigkeit der Regierung zu einer Vision, einer politischen Lösung bzw. ihrer Weigerung, Verantwortung zu übernehmen, Legitimität verleihen. Unsere Stimme, die zu einer Zivilgesellschaft mit gleichen Rechten und zur Koexistenz aufruft, wird zum Schweigen gebracht.

Der gegenwärtige Gewaltausbruch ist das Ergebnis der langjährigen Regierungspolitik des „Konfliktmanagements“, einer Politik, die alle Chancen für einen Dialog oder für Schritte zu einer vereinbarten Lösung des Konfliktes vernachlässigt. Die heutige Lage wurzelt in der Beerdigung des palästinensisch-israelischen Friedensprozesses, der fortgesetzten Siedlungspolitik und der durch Zwang ausgeübten Hegemonialpolitik – statt nach einer Friedensvereinbarung mit den Palästinensern zu streben.

Darüber hinaus ermutigen die Einsatzpraktiken der Militärpolizei jüdische Rechts Extremisten, u.a. Siedler, dazu, in die gemischten Städte zu kommen und dort die Zunderbüchse anzufachen.

Dieser Gewaltausbruch dient leider denen in der israelischen Regierung, einschließlich des Regierungschefs, die ihre Machtpositionen erhalten wollen und die Gewalt für ihre eigenen politischen Ziele instrumentalisiert haben.

Wir, die Absolventen und Absolventinnen der School for Peace, sind davon überzeugt: Es wird nur dann Frieden und Ruhe geben, wenn es einen wirklichen Dialog gibt zwischen Juden, palästinensischen Bürgern des Staates Israel und Bürgern von Palästina – einen Dialog, in dem alle miteinander gleichberechtigt eine Lösung für diesen Konflikt suchen.

Weitere Informationen bei:

Ibrahim Agbaria und Dr. Roi Silberberg

 

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