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Stimmen aus unserem Land
Freitag 2. Januar 2009, von
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Liebe FreundInnen,
Ich habe das Bedürfnis, Euch mitzuteilen wie es uns in diesen Tagen geht und ich nehme an, dass Ihr auch das Bedürfnis habt von uns zu hören.
Heute ist Sylvester, in knapp einer Stunde zieht 2009 ein und bei uns hat niemand Lust zu feiern. Am letzten Samstagabend hatte die Jugend das ganze Friedensdorf im Jugendclub eingeladen um gemeinsam die Feiertage der verschiedenen Religionen zu feiern, Id el Adcha, das moslemische Opferfest, Channukka und Weihanchten. Die Jugendlichen hatten die ganze Woche vorbereitet um unserer Dorfgemeinde ein tolles gemeinsames Fest zu bereiten. Es war das erste Mal, dass die Jugend die Initiative dazu übernommen hatte und wir Eltern waren gespannt in stolzer Erwartung, was sie uns wohl bieten würden... Und dann kamen die Nachrichten der massiven Bombardierung des Gazastreifens und der zahlreichen Opfer. Die Jugendlichen des Dorfes versammelten sich um zu besprechen, was zu tun. Es war allen klar, dass ein Fest in dieser Situation nicht angebracht war und so beschlossen sie, anstatt gemeinsam zu feiern, die Dorfgemeinschaft zu einer gemeinsamen Diskussion einzuladen. So versammelten wir uns am Samstagabend im Jugendclub um anstatt gemeinsam zu feiern uns gegenseitig unsere Gefühle und Gedanken mitzuteilen. Trotz der allgemein bedrückten Stimmung über den erneuten Ausbruch der Gewalt, über die so zahlreichen unnötigen Todesopfer in Gaza, über die Gewissheit, dass Gewalt nur wieder neue Gewalt hervorrruft und dem Gefühl der Hoffnungslosigkeit herrschte gleichzeitig eine besondere Atmosphäre. Wir waren uns bewusst wie besonders unser Zusammensein ist. Mitten in dieser so schwierigen Situation sitzen wir zusammen, Juden und Palästinenser, Erwachsene und Jugendliche während im ganzen Land auf beiden Seiten nur Stimmen gegeneinander gehört werden, Hasstiraden von beiden Seiten, die den Krieg schüren und wir sitzen gemeinsam und weigern uns da mitzumachen, beweisen, dass es auch anders möglich ist.
Zwei meiner Töchter waren im letzten Sommer in Workshops von zwei amerikanischen Organisationen, die palästinensische und israelische Jugendliche zusammenbringt. Sie haben dort neue Freundinnen gewonnen mit denen sie auch heute in Kontakt stehen. Am Sonntag erzählte mir meine Tochter, dass ihre Freundin aus Ramallah auf viel Unverständnis seitens ihrer Umgebung stiess, dass sie eine Freundin in Israel hat, wo rundum nur Demonstrationen gegen Israel stattfinden. Andereseits fragte sie eine jüdische Freundin, wie sie sich in dieser Situation mit ihrer auch arabischen Identität fühle.
Da wir in NSWAS keine Mittelschule haben lernen die meisten Jugendlichen aus unserem Dorf in einer ca. 40 km südlich von uns gelegenen Mittelschule.
Heute war ich in der Arbeit, die Kinder waren trotz Raketenwarnung in der Umgebung der Schule zur Schule gefahren als um 9.30 mein Handy läutete und Mai, meine älteste Tochter am Telefon war. "Mami, kannst du im Internet nachschauen, wo die Rakete gefallen ist, wir haben soeben einen lauten Bumm gehört, ganz nahe...". " Mai, wo seid ihr?!" Ich will mich vergewissern, dass sie in Sicherheit sind. Mai "beruhigt" mich, "ja, Mami es ist alles in Ordnung, jetzt geht gerade wieder die Sirene los, wir sind im Klassenzimmer und drücken uns an die Wand, wie es vorgeschrieben ist...." Mir rennen die Gedanken davon, was soll ich tun, sie von der Schule heimholen? Was, wenn auf dem Heimweg wieder Raketen fallen? Erst gestern ist eine Frau in Ashdod umgekommen als sie das Auto verliess um sich vor der Rakete zu schützen. Das Gefühl der Unsicherheit und der Hiflosigkeit überkommt mich. Ich weiss in dieser Situation nicht was am besten ist, man weiss nie, wo es einen erwischen kann. Ich rufe meiner mittleren Tochter an, sie ist sehr aufgeregt: Mami, die Rakete ist nur einige hundert Meter von unserer Schule gefallen.... Sie tönt nicht verängstigt, sondern aufgeregt über die ganze Situation, ein Stimmengewirr höre ich im Hintergrund und auch die Stimme des Schuldirektors über Lautsprecher, der versucht zu beruhigen. Ich mache mir Gedanken über meine jüngste Tochter. Seit die Raketen in weiterer Umgebung fallen, war sie sehr besorgt, dass sie mit ihrer Klasse in den Luftschutzkeller gehen soll. Sie wolte nicht mit Meinungsverschiedenheiten in dieser Situation konfrontiert sein. Als ich sie endlich am Telefon habe, tönt sie OK und sagt mit, dass es ihr am schwersten fällt ihre Freundinnen in grosser Angst und in Tränen zu sehen. Diese sind schon von den vielen Raketen denen sie in den letzten Tagen ausgesetzt sind (sie wohnen in der Raketenzone) mit den Nerven unten, haben grosse Angst und weinen. Sie erzählt mir, dass sie ihre Freundinnen zu trösten versucht.
Nach kurzer Zeit erzählen mir die Kinder, dass sie heimgefahren werden und die Schule bis auf weiteres geschlossen bleiben wird.
Ich kann mich erst beruhigen wenn die Kinder mir berichten, dass sie daheim angekommen sind. Neve Shalom/Wahat al Salam liegt nicht in der Raketenzone. Eine ganze Schar von Freundinnen die im Süden wohnen und in den letzten Tagen den Raketen ausgesetzt sind ist mit den Mädchen heimgekommen um diese Nacht in Ruhe bei uns schlafen zu können.
Meine Gedanken schweifen nach Gaza, wo viel massiver als mit den Raketen bombardiert wird. Wohin flüchten sich die palästinenesischen Mädchen dort?
Wie unsinnig dieser Krieg doch ist. Schlussendlich wird doch verhandelt werden müssen und zu einem Abkommen gefunden werden. Warum kann man dies nicht vorher tun?
Wenn nur ein winziger Bruchteil des Geldes, das jetzt in diesen Krieg investiert wird in Friedensarbeit investiert würde. Wir müssen uns den Kopf zerbrechen wie wir die nächsten Monatslöhne unserer Friedensarbeiter aufbringen und da wird so viel Schaden mit diesen Bomben angerichtet, mit diesen Raketen.
Ich wünsche Euch allen von Herzen ein gutes friedliches Neues Jahr,
Shalom, Salam aus unserem Neve Shalom/Wahat al Salam
Evi.